Uncategorized

Vogelfrei. Doch wir wollen mehr.

posted by Daniel Winter April 11, 2016 0 comments

Eine Generation in der Quarterlife-Crisis.

„[Wir] sind zu groß für unsere Stadt, doch zu klein für die Welt. Eigentlich, eigentlich, eigentlich geht es uns gut, doch wir wollen mehr, mehr, mehr, mehr“ bringt die deutsche Band OK Kid das Gefühl einer Generation auf den Punkt, die sich nun zum ersten Mal in ihrem Leben in einer veritablen Krise befindet, der Quarterlife-Crisis. Obwohl es sich bei den Post-89ern um eine auf Effizienz getrimmte Hochleistungsgesellschaft handelt, die ihr Studium im Idealfall in Mindestzeit absolviert, haben sie Angst, keinen geeigneten Job zu kriegen und ohne Perspektiven zu sein.

Die Generation Y ist in einer Gesellschaft großgeworden, in welcher der reale Sozialismus gemeinhin bereits als gescheitert angesehen wird. Zugleich ist ihr Wohlstand die Ernte des keynesianischen Wohlfahrtsstaates der 1960er und 70er-Jahre. Die Kinder dieser Generation (selbst die meisten der Linken unter ihnen) verdanken dem gezügelten Kapitalismus alles und wollen ihn darum auch nicht abschaffen. Die Generation Y musste sich nicht an den Wohlstand gewöhnen, sie kennt nichts anderes. Selbst die Wirtschafts- und Finanzkrise verfolgt sie wie einen Film im Fernsehen. Im Gegensatz zur Elterngeneration X ist Y weniger materialistisch. Es kommt ihr nicht darauf an, es einmal besser zu haben. Nein, sie will mehr. Sie will es gut.
Zugegeben, es handelt es sich beim Phänomen der Quarterlife-Crisis um ein ziemliches Luxusproblem. Selbiges gilt aber auch für andere Volkskrankheiten der postindustrialisierten Welt: Kaum jemand etwa würde auf die Idee kommen, Depression, insbesondere in der Ausprägung des „Burnout-Syndroms“ infrage zu stellen. Obwohl von dieser sogenannten Quarterlife-Crisis also nur ein sehr elitärer Kreis von jungen Menschen betroffen ist, wäre es fatal, diese Krise nicht ernst zu nehmen.

Vogelfrei.
Was ist diese Quarterlife-Crisis eigentlich? Es handelt sich um eine Krise, die, wie ihr Name bereits erahnen lässt, für gewöhnlich in den Mittzwanzigern auftritt. Hauptsächlich ist jene Schicht davon betroffen, die das Privileg einer tertiären Bildung genoss. Kurz: Studierende in der Phase des Übergangs vom Studium in die „wirkliche“ Berufswelt. Als Symptome gelten Angst vor der Zukunft, wahrgenommene Perspektivlosigkeit und das Gefühl, dass alle aus dem persönlichen Bekanntenkreis besser und erfolgreicher sind als man selbst. So weit, so trivial. All diese Sorgen und Ängste klingen relativ normal für die Phase des Umbruchs im Leben eines Menschen. Ist die Quarterlife-Crisis also nur eine neue Bezeichnung für das, was eh normal ist und schon immer war? Tatsächlich ist es keine Besonderheit, dass sich eine Generation auf ihrem Sprung in die reale Welt, das Erwachsenenleben, in einer Identitätskrise befindet und Angst hat. Eine Besonderheit wäre, wenn es anders wäre. Was die angesprochene Generation Y aber von ihrer Elterngeneration unterscheidet, ist, dass der Sprung ins zweite Lebensdrittel nicht nur einen Wandel verlangt, sondern den Zwang erzeugt, die eigenen Ansprüche, also sich selbst, zu hinterfragen. Wir sprechen also von jener Generation, welcher seit jeher gesagt wurde: „Du kannst alles machen, was du willst!“ Gleichzeitig wurde sie nie gefragt: „Was willst du eigentlich wirklich?“ Wir reden von jener Generation mit den Eltern, die wollten, dass es ihren Kindern besser geht. Jenen Eltern, die finanziellen Wohlstand erwirtschaftet haben, damit ihre Kinder eine bessere Bildung genießen. Wir sprechen von jener Generation, deren Eltern auf den eigenen Urlaub verzichtet haben, damit das Kind in den Sommerferien auf Sprachreise fahren kann.

Leute, deren Mittzwanziger von dieser Krise begleitet wird sind keineswegs faul. Wie Eichhörnchen haben sie fleißig ECTS-Punkte gesammelt, um schnell durchs Bachelor- und das anschließende Masterstudium zu kommen. Jeden Sommer und auch die Monate darüber hinaus absolvieren sie unbezahlte Praktika. Der einzige Lohn ist der Lebenslauf; an diesem arbeiten sie alle fleißig. Denn das wird dieser Generation auch gesagt: „Dein Studium reicht nicht aus. Du muss flexibel sein, mobil sein, dich unterscheiden.“ Individualität im Gleichstrom.

Die Generation in der Quarterlife-Crisis glaubt an das, was man ihr versprochen hat. Gleichzeitig zweifelt sie daran, ob es denn möglich sei. Sie möchte flexibel sein, frei sein, stets alles tun können. Eine Generation, der es darum geht, möglichst viele Möglichkeiten zu haben, fällt es schwer, sich auf etwas festzulegen. Doch gerade das macht sie vogelfrei. Der Anreiz, tatsächlich mit einer Masterarbeit fertigzuwerden, ist relativ gering.
Obwohl die Leute, die an der Quarterlife-Crisis leiden, sich eine Welt ohne Konsumgesellschaft nicht vorstellen können, glauben sie nicht an das Wachstum, welches immerhin nichts Geringeres als die Grundannahme des Kapitalismus darstellt. Sie wollen mehr, mehr als hohe Gehälter und eine Eigentumswohnung. Sie wollen mehr verdienen, als sie für ihre Praktika bezahlt bekommen, gleichzeitig aber auch nicht mit Spitzengehältern erkauft werden. Kaufen lassen sie sich mit der 30-Stunden-Woche, Work-Life-Balance, klimatisierten Arbeitsplätzen, abwechslungsreichen Herausforderungen. Ursache für die eigene Lebenskrise sind Ansprüche, von denen man selbst nicht glaubt, dass sie realisiert werden können. Darum versuchen viele, mit Gelegenheitsjobs den Erhalt des status quo hinauszuzögern. Wenn schon kein Geld, dann wenigstens Freiheit.

Angst kennt keine Zahlen. Durchschnittlich verdient einE BacherlorabsolventIn mit brutto 1.920 Euro beim Berufseinstieg mehr als etwa einE AbsolventIn einer HTL (1.700 Euro). Mit einem Masterabschluss beläuft sich das durchschnittliche Einstiegsgehalt auf 2.350 Euro.[1] Zugleich bestätigen unzählige Statistiken, dass ein Studium noch immer den besten Schutz vor Arbeitslosigkeit darstellt. Deshalb zu glauben, es handle sich bei der Quarterlife-Crisis um ein imaginiertes oder gar virtuelles Problem, wäre fatal. „[Wir] sind zu groß für unsere Stadt, doch zu klein für die Welt“ gilt selbst dann, wenn man einen bezahlten Job hat. Wir sind die Generation mit so großen Ambitionen, dass wir Gefahr laufen, vor lauter Angst an diesen zu zerbrechen.

(Der Text wurde zuerst in der Unipress der ÖH Salzburg vom März 2014 veröffentlicht.)

[1] http://www.format.at/nw1/gen/popfiles/2012/03/23/fo_140225.gif

 

 

Leave a Comment