Kultur & GesellschaftPolitik

Auch Arschlöcher haben Anspruch auf Asyl.

posted by Rebekka Mayrhofer June 7, 2016 0 comments

Der Mensch im Recht.

Die Aufarbeitung unserer Geschichte passiert zwar nicht so gründlich, wie es in Anbetracht jüngster Wahlergebnisse notwendig wäre, aber sie passiert mittlerweile. Seinem Bildungsauftrag folgend strahlt der ORF in regelmäßigen Abständen Dokumentationen, Sendungen und Spielfilme zum zweiten Weltkrieg, der Vor- und Nachkriegszeit aus.  Da sehen wir das Leid der „Unsrigen“ in moving pictures. Die hungernden Kinder, sterbende Soldaten, aber auch Menschen am Heldenplatz, die jubeln. Dem Völkermord entgegenjubeln.

Wir, die Generation, die deutlich nach dem Ende des zweiten Weltkriegs geboren und von der Bildung erreicht wurde, greifen uns an den Kopf, können nicht begreifen; sind froh, dass wir diesem dunklen Kapitel unserer Geschichte dank unseres Geburtsdatums entkommen sind… denken vielleicht an unsere Großeltern, die selbst fliehen oder kämpfen mussten und zu einem beträchtlichen Teil das auch wollten.

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Dann aber schalten wir den Fernseher aus. Cut. Zäsur. Back in real life.

Im echten Leben nämlich, darf man sich von Kinderaugen nicht erpressen lassen, wird einem gesagt. Im echten Leben gibt man einem Außenminister und seiner Regierung Recht, die den Befehl zur Missachtung des Völkerrechts geben. Im echten Leben ist die FPÖ gar nicht so schlimm. Denn im echten Leben zählen Meinungsumfragen. Populismus, nicht Demokratie. Im echten Leben wehren sich diejenigen, die Flüchtlingsheime in Brand stecken, nur gegen die „undemokratische“ Politik der bösen Bundesregierung. Merkel handelt ja gar nicht mehr nach dem Willen des Volkes! AfD und FPÖ aber, wenigstens die trauen sich! Nicht so wie die anderen Parteien, die Menschenrechte tatsächlich vor ein paar Monaten noch ernst nahmen.
Rechtspopulist_innen, Pegida und wie sie alle heißen, behaupten so einiges: „Die, die da kommen, gehören nicht zu uns!“, sagen sie, und dass ihre Religion eine Gefahr für den Westen sei. Auch aus linken Kreisen wird kritisiert und teilweise sicher zu Recht, dass das Frauenbild einiger Flüchtlinge, befremdlich und mitunter abstoßend ist.
Schalten wir für einen Moment den Fernseher wieder ein. Die größten Gräuel des Nationalsozialismus wurden damit „legitimiert“, dass die, die es da trifft, die Roma, die Sinti, die Kommunist_innen, die Juden und Jüdinnen, die Priester und die Behinderten, und nicht zuletzt die ‘Asozialen’ halt anders seien, nicht dazupassen. Sicher, in Österreich werden keine Menschen vertrieben oder verfolgt. Menschen aber aufgrund ihrer Religion, ihrer Meinung oder nur, weil andere Länder noch weniger helfen, die Hilfe zu versagen,  ist nur der erste Schritt hin zu einer Gesellschaft, die sich gegen sich selbst richtet.

Wenn es ein Menschenrecht auf Flucht gibt, dann muss es reichen, dass jemand Mensch ist.

Er oder sie kann ein Arschloch sein und wird dennoch ein Recht darauf haben, einen Antrag auf Asyl zu stellen. Besteht ein Fluchtgrund, wird Asyl zu gewähren sein.  Das Extrembeispiel ist nicht das Kind mit den großen braunen Augen, sondern der möglicherweise sexistische gewaltbereite, weil traumatisierte Mann, der ebenfalls ein Mensch ist und als solcher sein Menschenrecht genießt. Ob Männer, Frauen oder Kinder, sie sind MENSCHEN. Sie haben eine Vergangenheit, sie haben Familie, sie haben Mütter und Väter, vielleicht Geschwister oder selbst Kinder. Sie haben Gefühle und Bedürfnisse. Nehmen wir die Labels – Herkunft (Syrer_innen, Afghan_innen, Deutsche, Iraker_innen, Österreicher_innen), Religion – weg,  bleibt der MENSCH. Diese Tatsache allein gibt jeder flüchtenden Person das Recht, einen Asylantrag stellen zu dürfen. Sie hat das Recht, einen Antrag zu stellen, unabhängig davon, ob sie siebenunddreißigtausendste oder siebenunddreißigtausenderste ist. Ebenso hat der Staat, in dem der Antrag gestellt wurde, das Recht, diesen zu prüfen und negativ zu beurteilen.  Freilich nur dann, wenn kein Fluchtgrund besteht.

Die Fähigkeit zur Sprache unterscheidet den Menschen von anderen Lebewesen. Ebenso seine Fähigkeit zur Empathie und Menschlichkeit. Natürlich können wir unsere Empathie und Menschlichkeit ausblenden, ausschalten, negieren, unterdrücken, nicht zulassen. Wie schon Hannah Arendt festhielt, hilft uns dabei unsere Sprache. Die Beamtensprache der Nazis erleichterte den Holocaust. Die technische Sprache nahm den Jüdinnen und Juden, politischen Gegner_innen, Homosexuellen und Angehörigen der Roma und Sinti –  allen Opfern der Nazis – ihre Menschlichkeit. Diejenigen, die Teil dieser grausamen Maschinerie waren, mussten sich mit den Menschen, die sie zu Tausenden ermordeten, nicht beschäftigen. Für sie waren es keine Menschen. Es waren Stückzahlen.  Zerstückelt waren ebenfalls die Verantwortungsketten. Von Refugees in Stückzahlen zu sprechen, erleichtert es uns heute, alle, die eine höhere Ziffer als 37 500 tragen, gegebenenfalls an der Grenze zu erschießen, oder wenn schon nicht so schlimm, von ihrer Internierung auf Inseln zu phantasieren.  Von baulichen Maßnahmen mit Seitenteilen zu sprechen erlaubt es uns, nicht von Zäunen sprechen zu müssen.

Manche behaupten, Politik sollte von Gefühlen befreit werden. Tut mir den Gefallen: Lasst uns nicht nur unsere Gehirne, sondern auch unsere Herzen benutzen. Nehmen wir Angst ernst, wo wir dieser begegnen und flüchten wir nicht in die Herzlosigkeit, die Sprache der Bürokratie und die Maßnahmen, die das Menschrecht negieren.

 

 

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