Salzburgs Töchter

Definitionsmacht? Ja bitte.

posted by Daniel Winter March 7, 2016 0 comments

Die Definition von Definitionsmacht bei sexualisierter Gewalt ist, dass Opfer sexualisierter Gewalt selbst definieren können, was sexualisierte Gewalt ist. Anstelle von objektiven Tatbestandsmerkmalen tritt das subjektive Empfinden als einziges Feststellungskriterium. Kurz gesagt: Wenn eine Person die Handlung (oder auch nur das Verhalten) einer andern Person als sexualisierte Gewalt wahrnimmt, dann ist sie Opfer sexualisierter Gewalt.

Gerade in Fällen sexualisierter Gewalt ist es oft sehr schwer möglich für (die meist weiblichen) Opfer, diese Vorfälle zu beweisen. Nicht immer kommt es zu sichtbaren körperlichen Verletzungen, immer aber zu psychischen Verletzungen, nicht selten Traumata, die nie vergehen. Laut einem Zeit-Artikel kommt es in Deutschland nur in knapp mehr als 8 Prozent der angezeigten Vergewaltigungen zu Verurteilungen. Einer Erkenntnis der EU-Grundrechte-Agentur, wonach zumindest ein Drittel aller Frauen in der EU (etwa 62 Millionen Frauen) seit ihrer Jugend einmal Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind, zeigt, dass ein gewaltiger Großteil von Fällen sexualisierter Gewalt erst gar nicht zur Anzeige gebracht wird. Wie gering die Quote zur Rechenschaft gezogener Sexualtaten ist, lässt sich daher sehr schwer einschätzen. Klar ist jedoch: Sehr, sehr gering!

Das Konzept der Definitionsmacht unterscheidet sich in mehrfacher Weise von Straftaten (etwa auch Nötigung §§105-6, Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität §§201-221 StGB), wie sie im Strafgesetzbuch geregelt sind. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien nun folgend einige Unterschiede aufgelistet; a) Tatbestand: Anstelle objektiver Tatbestandsmerkmale tritt das subjektive Empfinden; b) Beweislastumkehr: i) Die anklagende Person gilt so lange als Opfer, bis das Gegenteil bewiesen ist; ii) Die beschuldigte Person gilt so lange als schuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist.

Nun ergeben sich daraus folgend einige Besonderheiten:

Erstens:
Da es keine klar geregelten Tatbestände mehr gibt, die sagen, welche Handlungen als Ausdruck sexualisierter Gewalt gewertet werden können, sondern ausschließlich das subjektive Empfinden des Opfers ausschlaggebend ist, kann (fast) jede Handlung sexualisierte Gewalt darstellen. Ein Blick, (der als lüstern und verletzlich empfunden wird), eine (als offensiv wahrgenommene Umarmung), genauso wie freilich alle anderen Handlungen, die auch das Gesetz als Handlungen gegen die sexuelle Integrität empfindet. Damit wird einerseits dem Umstand, dass jede Handlung verletzend sein kann, Rechnung getragen. Andererseits wird dem Umstand Rechnung getragen, dass jeder Menschen ein unterschiedliches Toleranzniveau aufweist, was die persönliche sexuelle Integrität betrifft; bzw. kann dieses auch in Bezug auf verschiedene Menschen variieren. Was mich bei der einen Person stört, wünsche ich mir möglicherweise bei der anderen. Das Problem dabei: Dadurch, dass man mit jedem Verhalten einen anderen Menschen (sexualisiert) verletzen kann, ist es mitunter möglich, dass dies auch unbewusst passiert. Dies kann etwa sein, dass ein Blick, den eine andere Person als unangenehm lüstern aufgefasst hat, möglicherweise zugleich ein unbewusster Blick ins Leere gewesen sein kann. Eine andere

Möglichkeit ist, dass man zwar bewusst eine Handlung (z.B. Umarmung) setzt, die Intention dahinter aber eine gute war, während sie vom Opfer als negativ wahrgenommen wurde. Ergo: Wenn man nicht weiß, welche Handlungen bei einer anderen Person als negativ oder gar verletzend wahrgenommen werden, dann lässt sich auch schwieriger zwischen Kategorien wie absichtlich, vorsätzlich oder fahrlässig unterscheiden; sie verschwimmen ineinander. Außerdem kann bezüglich der Schwere einer Tat keine Relativierung vorgenommen werden. Eine ungewollte Berührung kann potentiell genauso sehr verletzend und traumatisierend sein wie eine gewaltsame Vergewaltigung.

Ich persönlich stimme diesem Konzept insofern zu, dass ich davon überzeugt bin, dass es für einen wertschätzenden zwischenmenschlichen Umgang mehr braucht als nur die Befolgung irgendwelcher a priori aufgestellter Kriterien. Mit dem Prinzip der Beweislastumkehr im Sinne einer Schuldvermutung habe ich aber ein großes Problem. Warum das so ist, sei nun weiter ausgeführt.

Zweitens:
Grundsätzlich gibt es meiner Meinung nach und wie oben bereits erwähnt zwei Arten, wie man Beweislastumkehr verstehen kann. Die Klassische (Juristische) ist jene: Aus der Unschuldsvermutung wird eine Schuldvermutung. Es gibt diesen Grundsatz im geltenden Recht demokratischer und rechtsstaatlicher Länder, dass eine Person nur dann als schuldig zu bewerten ist, wenn ihr eine Schuld nachgewiesen werden kann. Oder anders formuliert: Besser, eine schuldige Person bleibt ungestraft, als dass eine unschuldige Person bestraft wird. Die zweite Variante, wie man Beweislastumkehr in der Diskussion um die Definitionsmacht verstehen könnte, die ich hiermit als präferentiell vorschlage, besteht im Wesentlichen darin, dass man vom Verständnis, dass es überall da, wo es ein Opfer gibt, notwendigerweise auch eine_n Schuldige_n gibt, abrückt. Ein Opfer ist so lange ein Opfer, bis ihm das Gegenteil bewiesen wird. (Das könnte etwa sein, wenn jemandem bewiesen werden kann, dass eine behauptete Tat schlicht nicht stattgefunden haben kann.) Ein Opfer ist ein Opfer ist ein Opfer. Kritiker_innen des Definitonsmachtprinzips wird oftmals entgegnet, dass die Gefahr, wonach sich Menschen nur als scheinbares Opfer ausgeben, um die beschuldigte Person zu denunzieren, in keinem Verhältnis zu der Vielzahl an tatsächlichen Fällen sexualisierter Gewalt stünde, die unaufgeklärt und unbestraft bleiben. Es wird also argumentiert, dass Einzelfälle zu unrecht Verurteilter ein notwendiger Kollateralschaden seien, oder einfacher gesagt: Wenn dafür eine Vielzahl von Fällen sexualisierter Gewalt bestraft werden, rechtfertigt das die im Vergleich dazu wenigen fälschlichen Verurteilungen.

Meiner Meinung nach zielt diese Kritik derer, welche die Definitionsmacht ablehnen, aufs Falsche ab. Das Prinzip der Schuldvermutung ist meines Erachtens sowohl in einer Welt mit Eigendefinitonsmacht, als auch in einer Welt ohne Definitionsmacht fatal, undemokratisch, menschenfeindlich, etc.. Ob nun die Menschen für Dinge bestraft werden, die sie möglicherweise nicht getan haben oder/und auch für Dinge, bei denen sie nicht wissen konnten, dass sie die andere Person verletzt, macht dann auch keinen wirkliche Unterschied mehr.

Das Konzept der Definitionsmacht ist etwas sehr Wertvolles, weil es das Potential hat, das Unheil, nämlich die Verletzung ins Zentrum zu rücken. Dies bedeutet, dass man Menschen, die Opfer sexualisierter Gewalt sind, immer Glauben schenken muss. Immer.

Ferner ist dafür das Verständnis notwendig, dass Opfer und Schuld einander nicht immer bedingen (obgleich oftmals sehr wohl). In dem Moment aber, wenn das Prinzip der Definitionsmacht mit dem Prinzip der Schuldvermutung verknüpft wird, wird aus der Definitionsmacht eine Definitonsdiktatur. Und dazu sage ich: Nein danke!

Die Definitionsmacht ist dafür geeignet, falsche Handlungen von richtigen Handlungen bzw. schlechtes von gutem Verhalten zu unterscheiden. Es ist allerdings nicht dafür geeignet, schuldhaftes von nicht-schuldhaftem Handeln zu unterscheiden. Darum gibt es zumindest im Strafrecht, als auch bei gesellschaftlichen Sanktionen keine Alternative zu allgemein festgelegten objektiven Tatbestandsmerkmalen. Aspekte wie Absicht, Vorsatz, Fahrlässigkeit und Schuldfähigkeit sind Faktoren, auf die man nicht verzichten kann: Sowohl in Bezug auf die Beurteilung der Schuldfrage, als auch die Strafmaßbemessung.

(Zuerst hier am 28. November 2014 veröffentlicht.)

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